Transkript des Vortrags über Schlafstörungen Max-Planck-Gesundheitsforum Hörsaal im Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München Dr. Pierre Beitinger 25.06.2019 „Ein Bierchen vor dem Schlafengehen? Das vermeintliche Hausmittel schadet mehr, als es nützt“ Dr. Beitinger stellt sich als ausgewiesener Schlafspezialist vor, „unter anderem hier im Hause“. Es wird um Schlaf und Alkohol gehen, aber auch um Grundlagen des Schlafs. Der Gastgeber Prof. Dr. med. Schaaf bittet darum, pünktlich aufzuhören, weil er noch seinen Garten gießen müsse. Der Vortrag wird sehr in die Tiefe gehen, bis auf Botenstoffebene. Es folgt dann aber eine einfache Zusammenfassung. Dann wird es Gelegenheit für Fragen geben, „was wir zusammen erarbeiten“, und um die Aufklärung von Mythen. Schlaf ------ „Sie kennen den Schlaf.“ Es ist ein Bild von einem Mann mit einem Kind auf dem Arm zu sehen, mit der Fragestellung „Wer von beiden schläft?“ Der Mann hat offene, das Kind geschlossene Augen. Beim Schlaf ist das Hirn aktiv, jedoch das Bewusstsein ausgeschaltet. Es geht hier über den Schlaf von Säugetieren und Vögeln, aber auch Insekten schlafen. „Schlaf“ wird definiert durch: 1. Tagesverlauf 2. Inaktivität 3. Verringerte Reaktion auf äußere Reize In Pflegeberichten steht fast immer nur, ein Patient „wirkt schlafend“. Warum sagt [die Schwester/der Pfleger] nicht, _dass_ er schläft? Weil es noch dieses Kriterium gibt: 4. EEG-Veränderungen Es gibt folgende Schlafstadien: * wach: hohe Hirn-Muskel-Aktivität * normaler Schlaf: Hirn- und Muskel-Aktivität reduziert * REM-Schlaf: minimale Muskel- und hohe Hirn-Aktivität Es wird ein Diagramm gezeigt, in dem die Übergänge im Laufe eines Schlafs zwischen den verschiedenen Phasen „wach“, „REM-Schlaf“, „Stadium 1“, „Stadium 2“, „Stadium 3“ und „Stadium 4“ zu sehen sind. Die vielen Zacken, die im Diagramm innerhalb des REM-Schlafs zu sehen sind, „sind eine junge Disziplin“. Warum schlafen wir? ------------------- Warum wissen wir nicht, aber wir haben Vermutungen. * Körperveränderung: Herz-Kreislauf-System * Wärmeregulation * Hormonsystem Funktionen des Schlafs ---------------------- * Erholungsfunktion * Energiesparen * Immunsystem * Ausdifferenzierung Es gibt eine Menge Schlafstörungen, 80 Stück. Die häufigste: Insomnie * Diskrepanz zwischen Schlafbedürfnis und subjektivem Schlafvermögen * erhöhte Einschlafzeit * vermehrte nächtliche Wachzeiten * frühmorgendliches Erwachen / Einschlafen * subjektiv reduzierte Erholungsfunktion Zitat eines Betroffenen: „Sosehr ich mich auch bemühe, ich kann nicht einschlafen. Je bewusster ich einschlafen will, desto wacher werde ich.“ Manchmal schläft man erst kurz vor dem Weckerklingeln ein. Die Schlafapnoe ist eine Atemstörung, Störung der Sauerstoffzufuhr. Durch Muskelentspannung im Nasen/Rachen-Raum werden die Atemwege behindert. Teilweise haben Betroffene dann 4 Minuten lang gar keine Atmung. Im Wachzustand hält man das nur etwa 30 Sekunden aus. Dadurch folgt auch Tagesschläfrigkeit. Wie ist der Schlaf reguliert? ----------------------------- Es gibt das 2-Phasen/Prozess-Modell Einerseits gibt es den Schlafdruck, der sich im Wachzustand erhöht, und dann im Schlaf wieder sinkt, wie ein Brunnen, der ausgeleert wird. Dann gibt es den Rhythmus / die Circadiane-Periode zwischen Sonne und Nacht. Es gibt auch die Gesellschaft als „sozialen Zeitgeber“. Man sitzt zum Beispiel gemeinsam am Frühstückstisch. Zum Thema „Thalamus“ wird das Titelbild des Jugendromans „Poznanski — Thalamus (Loewe)“ gezeigt. Dieser Teil des Gehirns wird als „Tor zum Bewusstsein“ oder Großhirnschranke bezeichnet. Das Tor wird mit Acetylcholin aktiviert. Für den Schlaf ist der Neurotransmitter GABA sehr wichtig. Wach machen Adrenalin, Serotonin und Dopamin. Einige Botenstoffe spielen zusammen. Das ist gut ausgetüftelt von der Natur. Dieses komplizierte System funktioniert von alleine. „Sobald Sie darüber nachdenken, funktioniert es nicht mehr.“ Man kann es mit einem Mobile vergleichen, das auf Berührung oder Wind reagiert, und ein kompliziertes Gleichgewicht bildet. Es gibt ein Zusammenspiel oder „Schwingen“ der Botenstoffe im Gehirn. Es gibt eine Beeinflussung durch Medikamente oder auch Alkohol. „Alkohol ist eine feine Sache“, meint Dr. Beitinger. „Ich komme aus Ingolstadt, daher kommt das Reinheitsgebot.“ Im Urlaub habe er zusammen mit seiner Frau etwas getrunken, weil es nicht nett sei, wenn sie alleine trinkt. Bier entspannt, und macht vor allem in der Adoleszenz, in der UNI oder Ausbildung, viel Spaß, und gehört beim Kickern oder bei der Party am See dazu. Allerdings ist Alkohol eine der Substanzen mit dem größten Beipackzettel beziehungsweise den meisten Nebenwirkungen. Hierzu zeigt er ein relativ dickes Buch. Alkohol wirkt auf Gehirn, Haut, Rachen, Leber, Herz- und Blutkreislauf und Bauchspeicheldrüse. Eine Halbe ist nicht riskant. Ab einer Maß gerät man allerdings schon in den riskanten Konsumbereich. Fahrradfahren geht dann schon nicht mehr perfekt. Laut „Zeit online“ ist aber selbst das eine Bierchen oder Schnäpsle am Tag schon ungesund. Es gibt zum Beispiel ein erhöhtes Risiko für Krebs. Alkohol lockert die Muskeln. Das kann den Schlaf stören. Man schnarcht laut, hat Tagesschläfrigkeit, morgendliche Kopfschmerzen, und ein Schwitzen in der Nacht. Die Symptome passen gut zur Schlafapnoe. Daher ist Alkohol nicht besonders hilfreich beim Schlafen. Es ist ein enger Zusammenhang. Alkohol ist ein Zellgift, wirkt aber auch auf viele Botenstoffe, auf Dopamin (Belohnung) und auf GABA (Einschlafen). Der Körper passt das Mobile / das Gleichgewicht an. Serotonin und Dopamin sowie Glutamat und GABA hängen zusammen, diese sind wiederum mit Adrenalin und Acetylcholin verknüpft. Das Hypogramm mit „wach“, „REM“ und „Stadium 1-4“ wird durch Alkohol an mehreren Stellen gestört. Zur Hälfte der Nacht ist der Alkohol abgebaut. Der Alkohol stört den Schlaf, aber das Fehlen nach erfolgtem Abbau stört auch wieder. Was nun? Alternativen? Wenn man Alkohol zum Einschlafen braucht oder nutzt, sollte man Kontakt zu seinem Arzt aufnehmen, und gemeinsam beraten, was man für Möglichkeiten hat. Das „Mobile“ bleibt bestehen, es gerät nur etwas aus dem Gleichgewicht. Fragen aus dem Publikum ----------------------- „Eine Tante von mir hat schon lange Schlafprobleme gehabt, dann nach einem Schlaganfall konnte sie nur mit Spritzen zum Einschlafen und Aufwachen gebracht werden. Was ist hier passiert?" - „Wir zupfen an dem Mobile, in einem weiten Bereich, in dem man die Botenstoffe richtig platt drückt. Das kann man mit bestimmten Rezeptoren machen, das ist schon möglich.“ „Die Tante hat 5-6 Jahre Angst vor dem Schlafen gehabt, hat gar nicht oder ganz wenig geschlafen. Dann ist irgendwas im Gehirn passiert, und sie konnte nur mit Spritzen schlafen.“ - „Das passt gut zu dieser Insomnie, dass man gar nicht schlafen kann. Es kann sein, dass der Schlaganfall einen Schaden setzt, das ist aber ganz selten. Was das mit den Wach- und Schlafspritzen ist, da wage ich mich gar nicht ran, das ist mir ein Bisschen zu exotisch. Sie können Propofol nehmen, das grenzt aber eher an Narkose. Wenn man gerüttelt wird, wird man dadurch nicht mehr wach.“ --- „Ich bin 3-4 Stunden wach und schlafe dann wieder 3-4 Stunden. In einem SZ-Artikel habe ich gelesen, dass das unter Naturvölkern gang und gäbe ist“. - „Mehrphasigen Schlaf gibt es auch unter Nerds. Biphasischer Schlaf reduziert insgesamt das Schlafbedürfnis. Wenn sie nichts dagegen haben, ist das okay. Wenn sie sagen, ich muss aber meine 8 Stunden schlafen, dann wird das wieder zum Problem. Es wird dann wieder zu Alkohol oder Medikamenten gegriffen, um am Mobile zu zupfen. Ob sie 4 bis 10 Stunden schlafen kann je nach Person ganz unterschiedlich sein.“ --- „Im Tiefschlaf ist man ja recht schnell…“ - „Ja, der Körper holt sich wie [in diesem Modell mit dem Brunnen] den Tiefschlaf sehr früh in der Nacht. Das heißt aber nicht, dass die zweite Schlafhälfte nicht auch wichtig wäre.“ --- „Träume, san die wichtig? I ko mi net erinnern, dass i moi ned draamd hab. Is des guad?“ - „Wir träumen nicht nur im REM-Schlaf, sondern die ganze Nacht. Im REM gibt es nur _besonders_ aktive Träume. Hier gibt es einen Unterschied zwischen Damen und Herren. Damen erinnern sich wohl leichter an die Träume. Wenn man es durch Achtsamkeit oder zum Beispiel indem man ein Traumtagebuch führt trainiert, kann man die Erinnerung verbessern. Ich selber erinnere ich mich fast nie an Träume, der Bereich ist mir nicht zugänglich.“ --- „Man nimmt also Medikamente zum Schlafen, und dann wieder zum Aufwachen?“ - „Medkamente in ihrer ganz großen Zahl, Tavor, Diazepam, und so weiter, verändern etwas, indem sie an dem Mobile zupfen. Es kann sein, dass sie, wenn sie ein Benzodiazepin nehmen, schlechter Luft kriegen. Es kann sein dass ein Medikament eher an der Wachseite zupft und dadurch den Schlaf stört. Bei Depression wünscht man sich den Schlaf. »Ich will endlich schlafen!«. Aber Schlafentzug wirkt gegen die Depression. Wenn Patienten wenig schlafen, sind sie am nächsten Tag wie gerädert und gehen dann zum Beispiel einkaufen. […] Es kann Nebenwirkungen oder Übersteuerung geben, Beeinflussung wie beim Alkohol: Zittern und Schwitzen. Aber im Unterschied zum Alkohol, den Sie in der Kneipe oder im Supermarkt kaufen haben Sie bei den Medikamenten einen Arzt als Beratung.“ --- „Wenn ich das richtig verstanden hab, wenn man über Jahre hinweg 2 bis 3 Bier pro Tag trinkt, ist man Alkoholiker?“ - „Nein, das ist nur ein erhöhter Konsum, noch kein Alkoholismus. Also noch keine Sucht. Sucht ist es nur, wenn Sie gar nicht mehr aufhören können. Ein Fliesenleger macht sich das Knie auch nicht sofort kaputt, sondern es dauert, bis sich die ständige Belastung bemerkbar macht.“ „Ich hab einen Bekannten, der trinkt auch 2 bis 3 Bier pro Tag, und wird im Krankenhaus medikamentös neu eingestellt. Wenn er jetzt nach Hause kommt, muss er sich wieder neu einstellen?" - „Wenn durch den Entzug dieser schadende Faktor wegfällt, braucht man vielleicht gar kein Antidepressivum mehr. Wenn man an das Mobile noch was dran hängt, wird es halt kompliziert, nicht unbedingt schlechter.“ --- „Wie ist es mit künstlichem Licht, zum Beispiel vom Bildschirm oder LED?“ - „Schlafen ist besser, wenn das Licht einen geringeren Blauanteil hat, aber eigentlich brauchen Sie eine wirkliche Dunkelheit. Dann wird Melatonin (­ kennen Sie von Tabletten aus Amerika, relativ ungefährlich) produziert. Auch der Gang zum Klo kann zu hell sein. Wir empfehlen, dass wir in der Nacht gar kein oder ganz wenig Licht haben. Eine 20-Watt- Glühbirne ist schon zu viel. Die Sonne wirken zu lassen, ist der beste Zeitgeber. Auch bei einem Wintertag ist die Sonne so stark, dass Sie da da gut mitziehen können. Der eine Rhythmus [des 2-Phasen-Modells] wird dadurch schon wieder richtig gestellt. Man kann auch tagsüber Lichtlampen nutzen. Das ist halt nicht so spektakulär wie ein Medikament.“ --- „Muss ich die Alkoholdosis nicht immer steigern, um einen Effekt zu haben, weil sich das dynamische Gleichgewicht daran gewöhnt?“ - „Einen Minientzug gibt es bei Alkohol eh nach der zweiten Nachthälfte. Wenn man viel Alkohol braucht, sollte man überlegen, einen Entzug zu machen.“ „Über lange Zeit hat Bier vermutlich eh mehr Nebenwirkung, wenn man sich an die Wirkung gewöhnt. Soll man es dann nicht gleich weglassen?“ - „Ja. Auch wenn man versucht, Bier zum Einschlafen zu nutzen, macht es Sinn, sich von einem Arzt beraten zu lassen. Der Gewöhnungseffekt ist wie zu schnell Ski fahren. Man hat einen tollen Tag, aber wenn man sich die Klippen runter stürzen muss, um noch Spaß zu haben, ist es auch nicht gut.“ --- „Wie wirkt denn Zopiclon auf den Schlaf?“ - „Zopiclon und Zolpidem zupfen auch am GABA-System. Genau der selbe Effekt. Es ist gesünder als Alkohol, und vielleicht gesünder als andere Medikamente.“ --- „Ich bekomme in der Früh Sertralin und abends Trazodon. Wie passt das zusammen?“ - „Das passt gut zusammen. Das System kann sich in kurzer Zeit gut daran anpassen.“ --- „Wenn ich Champagner getrunken habe, konnte ich überhaupt nicht schlafen.“ - „So funktioniert Alkohol schon auch. Dosisabhängig und zeitabhängig anregend. Es kann sich aber auch bald ein Gewöhnungseffekt einstellen.“ --- „Verlieren die Medikamente nicht auch durch Gewöhnung irgendwann an Wirkung?“ - „Wir haben viele Hausärzte, wo Patienten sagen »ich will schlafen«, und irgendwann nehmen sie dann etwas über Jahre mit allen Nebenwirkungen, wie Gedächtnisstörung, Stürze, …. Wichtig ist Schlafhygiene, und Psychotherapie als Ergänzung.“ --- „Bei der Schlafapnoe hat man ja bekannte Mittel wie die Atemmaske. Gibt es auch ein bekanntes Mittel gegen Insomnie?“ - „Die besten Erfahrungen hat man mit Psychotherapie. Klassische Verhaltenstherapie. Das heißt ausprobieren, Ergebnisse aufschreiben, ändern, dann hat man diese Erfahrung gemacht. Psychotherapie ist anstrengend, und oft nebenwirkungsreicher als Medikamente. In München gibt es viele Spezialisten.“ --- „Welche Nebenwirkungen hat Psychotherapie?“ - „Sie geht jetzt nicht auf die Leber, aber es geht einem total viel durch den Kopf, und das kann unerwünschte Effekte haben, die man auch wieder verschlafen oder sonst wie verarbeiten muss.“ --- „Ich glaube ich hatte mal sowas: Gibt es sowas wie Schlafparalyse?“ - „Ja, Schlaflähmung heißt das auch. Im REM-Schlaf sind die Muskeln »abgeschaltet«, aber das Gehirn ist sehr aktiv, und die Augen bewegen sich stark. Es kann passieren, dass Sie diese Lähmung auch im Wachzustand haben. Üblicherweise nur einige Sekunden, oder maximal eine Minute. Es gibt aber die Krankheit Narkolepsie, wo Sie so was auch im Wachzustand haben.“ --- „Wie funktioniert die Krankheit »Schlafwandeln«?“ - „¼ der Kinder bis zum 14. Lebensjahr machen das. Schlafwandeln ist nichts Ungewöhnliches, es wächst sich raus. Es heißt aber nicht, dass da nichts passieren kann. Man läuft durch Glastüren und verletzt sich, oder schaltet den Herd an.“ --- „Man sagt doch, Schlafwandeln käme auch durch die Beeinflussung des Mondes?“ - „So richtig findet man keine Beeinflussung durch den Mond, außer die Helligkeit, wenn man bei offenem Fenster schläft. Es wird drüber geredet, ist aber wenig nachvollziehbar. Die Sonne ist so stark, das reicht auch.“